Dr. Klaus Brandenburg im Gespräch mit Regina Koch

über ihre Literatur am 08.09.25 bei Radio Ginseng


 

Es muss also ein gutes Gefühl gewesen sein, als Du die Geschichte auf dem Papier hattest. Papier oder schon Bits and Bytes?

 

Das Letztere! Ich schätze es sehr, digital zu schreiben. Die Geschichte ist ja zunächst nur in meinem Kopf. Entsteht und entwickelt sich beim Schreiben. Und nur mit der Tastatur kann ich so schnell schreiben, wir ich denke. Und danach kommt das Überarbeiten – ein sehr spannender Prozess. Da versuche ich dann, das Geschriebene mit den Augen meiner Lesenden zu sehen. Entdecke z. B. das einzelne Szenen in einer anderen Reihenfolge klarer werden. Auch kommen oftmals neue Gedanken, Ideen und Impulse hinzu. Diese Änderungen und Ergänzungen sind im PC viel einfacher umzusetzen als auf Papier.

 

 

 

Nun haben wir ja alle in der Schule die Buchstaben gelernt und sie zu Worten und Sätzen zu fügen. Von Schriftstellern sagt man aber, dass sie ihre ganz eigene Sprache, ihren Rhythmus, ihre Melodie haben. Welche ist Deine?

 

Hm, spannende Frage. Ich sage mal: ruhig, gefühlvoll, lebensnah? Und auch bildhaft. Denn ich nehme gerne die Symbolkraft der Natur. So z. B. »Plötzlich wurden Erinnerungen freigespült, wie das Watt bei Ebbe«. Mir ist wichtig, dass meine Geschichten Mut machen, den eigenen Weg zu gehen und den eigenen Gefühlen zu vertrauen. Aber – ist das eine Beschreibung meines Stils?

 

Eine Leserin hat es mal so ausgedrückt: Worte, wie Musik – eine so schöne Beschreibung, die mich sehr gefreut hat.

 

 

 

Willst Du uns aus Deinem allerersten Buch eine schöne Stelle, ein wichtige Stelle vorlesen?

 

Sehr gerne. Ich hab mich für den Anfang entschieden, weil das so gut zum Anfang unseres Gesprächs passt:

 

»Sie haben null Ihrer Freiminuten verbraucht.« Anna lauscht auf das Ticken der Küchenuhr und legt die Telefonrechnung in die Ablagebox. Im Augenwinkel registriert sie das ruhige Licht des Anrufbeantworters und tritt ans Fenster.

Blätter wirbeln durch die Luft. Rauch, der aus dem Schornstein des Nachbarhauses quillt, zieht fast waagerecht ab. Eichelhäher und Kohlmeisen werden auf den Zweigen des Weidenbaums ordentlich durchgeschüttelt und am Himmel zieht eine Formation Wildgänse vorbei. Anna schaut ihnen nach, bis sie als winzige Punkte am Horizont verschwinden. Dann bemerkt sie das Pochen über der linken Schläfe und schnappt sich Anorak und Schlüssel.

Das Garagentor gleitet lautlos auf. Auto und Fahrrad stehen bereit. Anna überlegt kurz und entscheidet sich für eine Fahrt ans Meer.

Erste Wellen rollen über das Watt. Möwen fliegen auf und in ihr Geschrei mischt sich plötzlich eine Melodie. Erstaunt lauscht Anna auf die vertrauten Töne.

»Vielleicht sollte ich ...?«, murmelt sie und schickt die Frage über die glitzernden Wellen, auf der sich eine Möwe schaukelnd tragen lässt.

 

 

 

Nun muss eine Schriftstellerin ja auch essen und trinken, muss wohnen und wandern. Wie sieht Dein Alltag aus? Erzähl uns vom Deinem ganz normalen Leben.

 

Neben dem Schreiben (na und ja, auch ein bisschen Haushalt) bin ich gern in der Natur unterwegs. Radle abseits der Straßen durch Feld und Flur oder mache Ausflüge an die Küste. Und auch digital ins Internet. Höre Podcasts und besuche Webinare.

Lausche und lerne.

 

 

 

Das klingt sehr harmonisch, als gäbe es in Deinem Leben keine Probleme, oder doch? Wie gehst Du damit um?

 

Probleme? Na klar. Wie ich damit umgehe? Ich sag mal, kommt drauf an. Aber ich bin schon ziemlich lösungsorientiert unterwegs. Wenn ich merke, dass sich ein Problem in meinem Kopf verheddert, schreibe ich es auf. Schaue, ob es sich dadurch ordnen lässt. Oder ich nehme es »mit« auf meine Radtour. Auch das hilft oft.

 

 

 

Unterscheiden sich Dein Alltag heute von deinem Alltag, als Du berufstätig warst?

 

Oh ja. Der Berufsalltag war vollkommen durchgetaktet, um mal wieder die Musik ins Spiel zu bringen. Vollzeit plus Fahrzeit von ’ner guten Stunde. Da blieb wenig Raum für Kreativität.

 

Heute ist mein Tag komplett anders, aber nicht weniger ausgefüllt. So z.B. meine Website auf dem neuesten Stand halten, Beiträge für Social-Media erstellen, Mails bearbeiten und natürlich schreiben. Gerade entsteht mein 4. Buch.

Und dann ist da ja noch Radio Ginseng: Als ich 2023 einen Beitrag über diesen besonderen Sender im Fernsehen sah, war ich so begeistert, dass ich direkt eine Mail schrieb unter dem Motto »Radio, das Medium meiner Kindheit. Schade, dass ich so weit weg wohne.« Und siehe da: Es war nur eine kleine Hürde, aber kein Hindernis: Die Technik macht’s möglich.

 

Wenn ich das alles grad so aufzähle, fühlt und hört sich das viel an. Aber ich habe gelernt, in meinem Tempo durch die Welt bzw. durch den Tag zu gehen, und zeige, nicht immer – aber immer öfter, dem »Frühen Vogel« die kalte Schulter.

 

 

 

Was – glaubst Du – hat Dich während Deines Berufslebens geprägt? Gibt es Geschichten, die Du uns erzählen kannst?

 

Ganz spontan fällt mir ein, dass vor allem die technische Entwicklung den Berufsalltag verändert hat. Die Schreibmaschine mit verhedderten Tasten und TippEx ging. Und der PC kam. Eine riesige Umstellung und so ganz und gar nicht papiersparend, wie uns das immer versprochen worden ist.

Gelernt habe ich Bankkauf-Mann. Ja, so steht es tatsächlich noch in meinem Lehrvertrag von 1969. Als Übergang war ich einer Fabrik tätig. Habe dort Spulenbäume für Fernseher gelötet und Kontakte für die Fernbedienung gesteckt. Am Band, das weiterlief, auch wenn man noch nicht fertig war. Eine lehrreiche Erfahrung – in vielerlei Hinsicht. Fast genau so wichtig wie die 25 Jahre im Kirchenbüro:

Es war schon spannend, wenn dort Taufkinder aus den ersten Jahren plötzlich vor mir saßen und ihre Trauung anmeldeten.

Aber was hat mich geprägt? Neben vielem anderen gewiss die Protokollführung in den Sitzungen des Gemeindekirchenrates. Da ich kein Steno kann, war aufmerksames Zuhören wichtig und ein gutes Training für die Merkfähigkeit. Aus Stichworten wurden am nächsten Tag Sätze, damit sich fehlende Kirchenälteste über den Verlauf der Sitzung gut informiert fühlten. Sozusagen eine gute „Fingerübung“ für mein Schreiben.

Hier sind es kleine Impulse und Ideenschnipsel, die sich zu Sätzen formen und eine Geschichte entstehen lassen. Aber im Gegensatz zur Protokollführung darf ich hier meiner Phantasie freien Lauf lassen.

 

 

 

Und nun frei verfügbare Zeit als Rentier, als Pensionärin. War das ein Bruch, warst Du überrascht?

 

Tja - es war schon von hundert auf null - fühlte sich zunächst wie Urlaub an. Dass dem nicht so war, musste sich erst mal setzen. Doch ganz langsam begann ich Stille, Wind und Weite wahrzunehmen und zu genießen. Ich fing an, diese besonderen Momente, die ich für mich »Silbermomente« nannte, in Fotos festzuhalten. Doch nur für die Schublade? Das fand ich zu schade und kreierte eine Website mit eben diesem Namen. Und vor allem hab ich begriffen, das jetzt »Tied satt« war, mal an mich zu denken.
Und so lebe ich als Mutter und Großmutter im Ruhestand meinen bislang verschütteten Traum – das Schreiben. Um als Autorin einzuladen:
Verändere deinen Fokus und entdecke Neues!

 

 

 

Und ist das Schreiben jetzt bestimmend geworden? Wie geht so etwas? Setzt man sich an den Küchentisch und erfindet Figuren? Erzähl uns vom Schreiben.

 

Ja, so ähnlich ist es. Allerdings sitze ich nicht am Küchentisch oder gar am Schreibtisch. Das würde mich zu sehr an den Büroalltag erinnern. Ich mach es mir gemütlich auf dem Sofa und im Sommer auf dem Balkon mit dem Laptop auf dem Schoß.
Und dann krame ich in meiner »Lieblingsschublade«. So nenne ich das Dokument, in dem ich Gedanken und Eindrücke notiere – von meinen Radtouren oder auch Berichten, die mir in Funk und Fernsehen auffallen. Überlege mir Namen für meine Figuren und schreibe los.

 

 

 

Ich würde gern wieder eine Stelle aus einem Deiner Romane hören. Die erste Stelle stammte aus „Das leise Lied“, können wir jetzt aus „Das leise Knistern“ etwas hören?

 

Sehr gerne. Da hab ich die Szene ausgewählt und ein wenig gekürzt, in der Anna die Menschen kennenlernt, die auf dem Bolte-Hof zusammenziehen, diesem Drei-Generationenprojekt in der Wesermarsch:

 

Der Klostergarten wird von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne in ein geheimnisvolles Licht gehüllt. Über ihr zwitschert ein Vogel sein Abendlied. Langsam öffnet Anna die türkisfarbene Tür der Klostermauer.

In der Ferne hört sie das Meer rauschen und aus den Dünen Stimmen. Sie überlegt kurz, schüttelt den Gedanken ab, der sie zum Umkehren zwingen möchte, und geht auf die Gruppe zu, die es sich im Sand gemütlich gemacht hat.

»Hallo zusammen, ich bin Anna. Darf ich mich zu euch setzen?«, fragt sie und knittert die Knopfleiste an ihrer Strickjacke zusammen.

»Prima machst du das!«, murmelt es in ihrem Kopf und der Bauch grummelt etwas, das von einem alten Schlager aus den 60er-Jahren übertönt wird, den ein Seminar-Teilnehmer vor sich hin summt.

»Na klar! Hey, ich bin Arno. Und das sind Johanne, Judith und der Sänger da ist Friedhelm. Wollen wir ein Lagerfeuer machen?«, deutet er auf die schon bestückte Feuerschale.

 

Anna schaut in die Runde und hat das Gefühl, die anderen schon ewig zu kennen. »Ist es die besondere Atmosphäre? Sind es die Lieder?«, überlegt sie und spürt, wie sich eine Wärme in ihr ausbreitet, die nicht nur vom Lagerfeuer kommen kann. Anna lauscht den Akkorden und betrachtet gedankenverloren den Abendhimmel. Hell und klar steht der Mond über dem Meer, und scheint still auf den Blauen Planeten zu schauen.

 

 

 

Das dritte Buch heißt „Leise Sehnsucht“; in jedem der Buchtitel kommt das Wort ‚leise‘ vor. Was hat es damit für eine Bewandtnis?

 

Beim ersten Buch war das ganz schnell klar. Da gab es ja dieses Lied von der Video-Kassette, das mich leise im Kopf begleitet hat. Und da es so gut zur Stimmung in der Geschichte passte, hab ich es meiner Protagonistin Anna mitgegeben.
Und dann wurde »Leise« zu einem gemeinsamen Rahmen der drei Romane. Als verbindendes Element hat sich das Wort, fast wie von selbst, in die Titel eingefügt. Aber auch, weil es die Grundstimmung meiner Geschichten beschreibt: nachdenklich, mit einer stillen Zuversicht.

 

 

 

Ist es richtig, zu sagen: Das sind sanfte Bücher? Kein Totschlag, keine Leichen. Kein Feuerwerk, keine Falschmeldungen und Weltuntergänge. Warum schreibst Du nicht, was die Leute in Massen aufregt? Sex and crime verkauft sich gut, sagen die Marketingleute!

 

Mag sein. Aber das bin ich einfach nicht.
Sanfte Bücher? Ja, das trifft es eigentlich ganz gut. Kein Krach, keine Katastrophen – dafür echte Gefühle, Entwicklung, Veränderung.
Mich beschäftigt die Frage: »Können Kopf und Gefühl umlernen?«.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr sich ein Leben verändern kann, wenn man alte Denkmuster hinterfragt. Erinnerungen, Verletzungen und Konflikte bestimmen oft unbemerkt unseren Alltag. Halten uns zurück. Und wir merken es oft erst, wenn der Stillstand nicht mehr zu ignorieren ist. Sich dann zu trauen, neu zu denken – und zu fühlen.

Ich finde, das ist mindestens genau so spannend wie einen Krimi. Vielleicht kein Feuerwerk – aber es kann das ganze Leben heller machen.

 

 

 

Gut. Dann bleiben wir auf der leisen Seite des Lebens. Ich möchte Dich bitten, noch eine Stelle aus Deinem dritten Buch zu lesen.


Daraus habe einen kleinen Ausschnitt mitgebracht, in der Anna mit Arno im Garten sitzt. Es geht um Erinnerungen, die lange verdrängt wurden – und darum, wie leise Zeichen manchmal helfen, das eigene Erleben in ein neues Licht zu rücken. Es ist eine dieser stillen Szenen, in denen mehr zwischen den Zeilen geschieht als auf den ersten Blick. Also: Los geht’s:

 

Anna schaut ihn an. Der Gedanke, was Familiengeheimnisse mit Menschen machen, nimmt ihr fast den Atem. Sieht Arno an, dass es in ihm arbeitet. Er mehrfach tief einatmet und die Luft kräftig herausstößt. Dann plötzlich den Kopf hebt.

Und auch sie registriert nun die leisen Klänge, die durch den Garten wehen. Ist es das Windspiel, das Maja im Fliederbusch angebracht hat? Anna hört genauer hin. Es ist ein Xylofon.

Arno fährt sich durchs Haar, löst seinen Rücken vom Stamm der Kastanie und wischt sich die Finger an seiner Jeans ab. Ein kleines Lächeln huscht über sein blasses Gesicht. Er zwinkert Anna zu und schlendert los zur Diele. Und als ein Tamburin auf die Töne des Xylofons antwortet, versteht auch sie.

Anna schaut gedankenverloren auf die alte Kastanie, auf das Unkraut der Hofeinfahrt, das sich gegen den Kies behauptet hat und sich sanft im Wind bewegt. Ihr Blick gleitet rüber zum Nachbarhof und bemerkt Maria, die ihr zuwinkt und mit dem Finger auf den gedeckten Teetisch deutet.

 

Anna lässt sich mit einem Seufzer auf den Gartenstuhl sinken. »Da musste noch ganz schön was raus bei Arno.«

»Und nun führt er mit Johanne wieder ein Gespräch ohne Worte?« Maria zeigt mit dem Kopf auf das Scheunentor, aus dem leise Töne klingen. »Sie sind schon sehr besonders.«

»Ja – das wird Arno guttun.« Und mir eine Tasse Tee, setzt Anna in Gedanken hinzu und schnuppert an ihrem süßen Lieblingsgetränk. Und während die Sonne langsam hinterm Deich verschwindet und Anna die dritte Tasse eingeschenkt bekommt, hört sie, wie mehrstimmiges Summen Xylofon und Tamburin begleitet.

 

Anna schaut rüber zum Bolte-Hof. Es tönt aus dem geöffneten Küchenfenster von Maja und Friedhelm und auch aus Judiths kleinem Mini-Haus. Zart und kraftvoll zugleich. Anna stimmt in diese besondere Melodie mit ein und in diesem Moment kann sie sich vorstellen, dass aus den freigespülten Erinnerungen etwas Gutes entstehen kann.

Maria deutet auf die Freunde, die sich auf den Weg zum Abendkreis machen. »Komm, lass uns zu ihnen gehen.«

Anna schaut in die Runde. Hört dem Knistern des Feuers zu und lauscht der Melodie, die Friedhelm leise auf seiner Gitarre vor sich hin klimpert. Auch die anderen scheinen ihren Gedanken nachzuhängen. Judith knetet ihre rote Lockenmähne und Arno spielt mit den Fingern im Gras. Doch plötzlich geht ein Ruck durch seinen Körper.

»Ich hätte gedacht, dass ich statt des Tamburins eher die Trommel brauche, die hinterher nicht mehr heil ist«, stößt Arno breit grinsend hervor.

»Ach, mein Lieblingsmacho«, ruft Johanne aus und drückt ihm einen Kuss auf seine Dreitagebart-Wange.

»Ja«,flüstert Anna vor sich hin. »Die Wege zum Frieden sind leise.«

 

 

 

Ich bedanke mich und wir lassen das Gespräch mit leiser Musik ausklingen…